III

»Der Herr schläft«, wiederholte der Türhüter und blickte auf Geralt herab. Er war einen Kopf größer und fast doppelt so breit in den Schultern. »Bist du taub, Lump? Der Herr schläft, sage ich.«

»Soll er schlafen«, stimmte der Hexer zu. »Mit deinem Herrn habe ich kein Geschäft vor, sondern mit der Dame, die sich hier aufhält.«

»Du hast ein Geschäft vor, sagst du.« Der Türhüter erwies sich als witziger Mann, was bei jemandem von seiner Statur und Erscheinung erstaunlich war. »Dann nimm die Beine in die Hand, geh ins Hurenhaus und bedien dich seiner. Troll dich. Raus.«

Geralt löste den Geldbeutel vom Gürtel, hielt ihn bei den Riemen und wog ihn in der Hand.

»Du kannst mich nicht bestechen«, erklärte der Zerberus stolz.

»Das habe ich nicht vor.«

Der Türhüter war zu massig, als dass seine Reflexe ihm erlaubt hätten, sich gegen den raschen Schlag eines gewöhnlichen Menschen zu decken. Vor dem Schlag des Hexers bekam er nicht einmal die Augen zu. Mit metallischem Klang donnerte ihm der Beutel an die Schläfe. Er stürzte gegen die Tür und hielt sich mit beiden Händen am Rahmen. Geralt riss ihn davon mit einem Tritt ins Knie los, stieß mit der Schulter zu und benutzte nochmals den Geldbeutel. Die Augen des Türstehers trübten sich und liefen zu einem urkomischen Schielen auseinander, die Beine klappten unter ihm wie zwei Federmesser zusammen. Der Hexer sah, dass der Koloss, obwohl schon fast bewusstlos, noch immer mit den Armen herumfuchtelte, und versetzte ihm noch einen dritten Schlag, mitten auf den Scheitel.

»Geld«, murmelte er, »öffnet alle Türen.«

Im Hausflur war es ziemlich dunkel. Durch die Tür zur Linken drang lautes Schnarchen. Der Hexer warf vorsichtig einen Blick hinein. Auf einer zerwühlten Pritsche schlief eine füllige Frau in einem bis über die Hüften hochgerutschten Nachthemd und pfiff durch die Nase. Es war kein besonders schöner Anblick. Geralt zog den Türsteher in die Kammer und hakte die Tür zu.

Zur Rechten lagen weitere Türen, halb offen, und dahinter eine Steintreppe, die abwärts führte. Der Hexer wollte schon an ihr vorbeigehen, als von unten her ein undeutlicher Fluch ertönte, ein Poltern und das trockene Krachen eines zerbrechenden Gefäßes.

Der Raum stellte sich als eine große Küche voller Gerätschaften heraus, die nach Kräutern und geteertem Holz roch. Auf dem Steinfußboden kniete inmitten der Scherben eines Tonkruges ein völlig nackter Mann, den Kopf tief gesenkt.

»Apfelsaft, verdammich«, stammelte er und wackelte mit dem Kopf wie ein Widder, der aus Versehen eine Festungsmauer gestoßen hat. »Apfel ... saft. Wo ... Wo ist die Dienerschaft?«

»Ich höre?«, erkundigte sich der Hexer höflich.

Der Mann hob den Kopf und schluckte Spucke hinunter. Seine Augen waren blass und blickten sehr schräg.

»Sie will Apfelsaft«, teilte er mit, worauf er mit sichtlicher Mühe aufstand, sich auf eine mit einem Fell bedeckte Truhe setzte und sich an den Ofen lehnte. »Ich muss ... welchen raufschaffen, weil . . .«

»Habe ich das Vergnügen mit dem Kaufmann Beau Berrant?«

»Still.« Der Mann verzog schmerzerfüllt das Gesicht. »Schrei nicht. Pass auf, dort in dem Fässchen ... Saft. Apfelsaft. Schütt ihn wo rein ... und hilf mir die Treppe rauf, ja?«

Geralt zuckte mit den Schultern, dann nickte er mitfühlend. Er selbst vermied alkoholische Exzesse eher, doch der Zustand, in dem sich der Kaufmann befand, war ihm nicht völlig fremd. Beim Geschirr fand er einen leeren Krug und eine Kelle aus Zinn, er schöpfte Saft aus dem Fässchen. Er hörte ein Schnarchen und wandte sich um. Der nackte Mann schlief, den Kopf auf die Brust gesenkt.

Einen Augenblick lang hatte der Hexer Lust, ihn mit Saft zu übergießen und ihn zu wecken, doch er besann sich eines Besseren. Er ging aus der Küche, den Krug in der Hand. Der Korridor endete an einer schweren, mit Intarsien geschmückten Tür. Er trat vorsichtig ein, schob sie nur so weit auf, dass er hindurchschlüpfen konnte. Es war dunkel, also weitete er die Pupillen. Und blähte die Nüstern.

In der Luft hing ein schwerer Geruch von gärendem Wein, Kerzen und überreifen Früchten. Und von noch etwas, das an eine Mischung von Fliederduft und Stachelbeeren erinnerte.

Er sah sich um. Auf dem Tisch in der Zimmermitte erstreckte sich ein wahres Schlachtfeld von Krügen, Karaffen, Kelchen, silbernen Tellern und Schalen, Schüsseln und Bestecken mit Elfenbeingriffen. Das zerknitterte, halb weggerutschte Tischtuch war mit Wein übergossen, voller violetter Flecke, steif vom Wachs, das von den Leuchtern herabgelaufen war. Apfelsinenschalen prangten wie Blumen inmitten von Pflaumen- und Pfirsichkernen, Birnenstielen und holzigen Weintraubenresten. Ein Pokal war umgestürzt und zerbrochen. Der andere war heil, halb voll, und ein Truthahnknochen ragte heraus. Neben dem Pokal stand ein Damenhalbschuh mit hohem Absatz. Er war aus der Haut eines Basilisken gefertigt. Es gab kein teureres Material, aus dem Schuhe gemacht werden konnten.

Der zweite Schuh lag unterm Sessel auf einem achtlos hingeworfenen Rock mit weißem Faltensaum und Blumenstickerei.

Einen Augenblick lang blieb Geralt unschlüssig stehen und kämpfte mit dem Gefühl von Peinlichkeit, mit dem Verlangen, auf der Stelle kehrtzumachen und zu gehen. Doch das hätte bedeutet, dass er den Zerberus im Hausflur für nichts und wieder nichts niedergeschlagen hätte. Der Hexer tat nicht gern etwas Unnötiges. In der Zimmerecke bemerkte er eine Wendeltreppe.

Auf den Stufen fand er vier welke weiße Rosen und eine Serviette mit Flecken von Wein und karminrotem Lippenrouge. Der Geruch nach Flieder und Stachelbeeren wurde stärker.

Die Treppe führte ins Schlafzimmer, dessen Fußboden ein großes Fell bedeckte. Auf dem Fell lagen ein weißes Hemd mit Spitzenmanschetten und ein gutes Dutzend weiße Rosen. Und ein schwarzer Strumpf.

Der zweite Strumpf hing an einem der vier geschnitzten Pfosten, die den schweren Baldachin überm Bett trugen. Die Schnitzereien an den Pfosten stellten Nymphen und Faune dar, in verschiedenen Stellungen. Manche Stellungen waren interessant. Andere nur lächerlich. Vieles wiederholte sich. Im Großen und Ganzen.

Geralt räusperte sich laut, während er auf die Flut schwarzer Locken schaute, die unter der damastenen Bettdecke hervorschauten. Die Decke regte sich und seufzte. Geralt räusperte sich noch lauter.

»Beau?«, fragte die schwarze Lockenflut undeutlich.

»Hast du Saft geholt?«

»Hab ich.«

Unter den schwarzen Locken hervor erschien ein blasses dreieckiges Gesicht mit veilchenblauen Augen und schmalen, leicht verzogenen Lippen.

»Och . . .« Die Lippen verzogen sich noch stärker. »Ich komme um vor Durst . . .«

»Bitte.«

Die Frau schälte sich aus dem Bett und setzte sich auf. Sie hatte hübsche Schultern und einen wohlgeformten Hals, um den Hals ein schwarzes Samtband mit einem sternförmigen, vor Brillanten funkelnden Schmuckstück. Außer dem Halsband hatte sie nichts an.

»Danke.« Sie nahm ihm den Becher aus der Hand, trank ihn gierig aus, dann hob sie die Hände und griff sich an die Schläfen. Die Decke rutschte noch weiter herab. Geralt wandte den Blick ab. Höflich, doch widerwillig.

»Wer bist du eigentlich?«, fragte die schwarzhaarige Frau, während sie sich die Augen rieb und die Decke hochzog. »Was tust du hier? Wo zum Teufel ist Berrant?«

»Auf welche Frage soll ich zuerst antworten?«

Augenblicklich bereute er die Ironie. Die Frau hob die Handfläche, und aus ihren Fingern schoss ein goldglänzender Strahl hervor. Geralt reagierte instinktiv, indem er mit beiden Händen das Zeichen des Heliotrops formte; er fing den Zauber unmittelbar vor seinem Gesicht ab, doch der Impuls war so stark, dass er nach hinten gegen die Wand gepresst wurde. Er ließ sich zu Boden sinken.

»Nein!«, rief er, als er sah, dass die Frau die Hände abermals hob. »Frau Yennefer! Ich komme in Frieden, ohne böse Absicht!«

Von der Treppe her erklang Fußgetrappel, in der Tür des Schlafzimmers tauchten die Gestalten der Diener auf. »Frau Yennefer!«

»Geht weg«, befahl ihnen die Zauberin ruhig. »Ich brauche euch nicht mehr. Ihr werdet dafür bezahlt, dass ihr das Haus hütet. Da diese Person aber dennoch hier hereingelangen konnte, werde ich mich selbst mit ihr befassen. Teilt das Herrn Berrant mit. Und für mich soll bitte ein Bad bereitet werden.«

Der Hexer stand mit Mühe auf. Yennefer betrachtete ihn schweigend mit zusammengekniffenen Augen.

»Du hast meinen Spruch abgewehrt«, sagte sie schließlich. »Du bist kein Zauberer, das sieht man. Aber du hast ungewöhnlich schnell reagiert. Sag, wer du bist, Unbekannter, der du in Frieden kommst. Und ich rate dir, sag es schnell.«

»Ich bin Geralt von Riva. Ein Hexer.«

Yennefer beugte sich aus dem Bett und hielt sich dabei an einem in den Pfosten geschnitzten Faun fest, an einem zum Festhalten nicht übel geeigneten Körperteil. Ohne Geralt aus den Augen zu lassen, hob sie einen Mantel mit Pelzbesatz vom Boden auf. Sie wickelte ihn eng um sich und stand auf. Ohne Eile goss sie sich noch einen Becher Saft ein, trank ihn in einem Zug leer, räusperte sich, kam näher. Geralt rieb sich ein wenig das Kreuz, das eben noch schmerzhaft mit der Wand in Berührung gekommen war.

»Geralt von Riva«, wiederholte die Zauberin und musterte ihn zwischen den schwarzen Wimpern hindurch. »Wie bist du hereingekommen? Und zu welchem Zweck? Berrant, hoffe ich, hast du kein Leid getan?«

»Nein. Das nicht. Frau Yennefer, ich brauche deine Hilfe.«

»Ein Hexer«, murmelte sie, während sie noch näher kam und den Mantel eng um sich zog. »Nicht nur der erste, den ich aus der Nähe zu Gesicht bekomme, sondern gleich der berühmte Weiße Wolf. Ich habe einiges von dir gehört.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Ich weiß nicht, was du dir vorstellst.« Sie gähnte und kam noch näher. »Du erlaubst?« Sie berührte mit der Hand seine Wange, blickte ihm aus nächster Nähe in die Augen. Er biss die Zähne zusammen. »Die Pupille passt sich reflektorisch dem Licht an, oder kannst du sie willkürlich verengen oder weiten?«

»Yennefer«, sagte er ruhig. »Ich bin den ganzen Tag ohne Halt nach Rinde geritten. Ich habe die halbe Nacht darauf gewartet, dass das Tor geöffnet wurde. Ich habe dem Türhüter eins über den Schädel gegeben, weil er mich nicht hereinlassen wollte. Ich habe dich unhöflich und aufdringlich um Schlaf und Ruhe gebracht. Und das alles, weil mein Freund Hilfe braucht, die nur du ihm geben kannst. Gib sie ihm bitte, und dann können wir, wenn du willst, über Mutationen und Aberrationen reden.«

Sie trat einen Schritt zurück, verzog unschön den Mund. »Um welche Art Hilfe geht es?«

»Um eine magische Regeneration verletzter Organe. Gurgel, Kehlkopf und Stimmbänder. Verletzungen von der Art, wie das Scharlachdunkel sie bewirkt. Oder sehr ähnliche.«

»Ähnliche«, wiederholte sie. »Kurzum, es war nicht das Scharlachdunkel, das deinen Freund verletzt hat. Was also war es? Red schon, so im Morgengrauen aus dem Schlaf gerissen, habe ich weder Kraft noch Lust, dir das Hirn zu sondieren.«

»Hmm ... Am besten beginne ich von vorn . . .«

»O nein«, fiel sie ihm ins Wort. »Wenn es derart kompliziert ist, dann gedulde dich noch etwas. Schaler Geschmack im Munde, verhedderte Haare, klebrige Lider und derlei frühmorgendliche Misslichkeiten schränken mein Auffassungsvermögen stark ein. Geh zum Bad in den Keller hinunter. Ich werde gleich dort sein, und dann kannst du mir alles erzählen.«

»Yennefer, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber die Zeit drängt. Mein Freund . . .«

»Geralt«, unterbrach sie ihn scharf. »Ich bin dir zuliebe aufgestanden, und ich hatte nicht vor, das vor dem Mittagsläuten zu tun. Ich bin bereit, aufs Frühstück zu verzichten. Weißt du warum? Weil du mir den Apfelsaft gebracht hast. Du hattest es eilig, musstest immerzu an die Leiden deines Freundes denken, du bist gewaltsam hier eingedrungen, indem du Leuten eins über den Schädel gegeben hast, und trotzdem hattest du einen Gedanken an eine durstige Frau übrig. Damit hast du mich für dich eingenommen, und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich dir helfen werde. Aber auf Wasser und Seife verzichte ich nicht. Geh. Bitte.«

»Gut.«

»Geralt.«

»Ja.« Er blieb an der Schwelle stehen.

»Nutze die Gelegenheit und nimm auch ein Bad. Am Geruch erkenne ich nicht nur Rasse und Alter, sondern sogar die Farbe deines Pferdes.«

Der letzte Wunsch
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